Das Riesenkissen knarzt – Versuch über ein Bühnenbild

Von Alexandra Zysset Es war ein mal ein buntes Riesenkissen in einem goldenen Raum. Es waren einmal Märchengestalten, die das bunte Riesenkissen erklommen, das unter ihren Füssen wie ein alter Holzbalken knarzte… Moment mal. Knarzen? Knirschen Kissen nicht eher, zumindest zur Zeit der Gebrüder Grimm, als sie noch mit Stroh gefüllt waren? Oder hat sich dieses Exemplar über die Jahrhunderte weg verstimmt, wie ein gut bespieltes Instrument? Denn genau das sind die Märchen, die Herbert Fritsch am Schauspielhaus Zürich inszeniert. Sie wurden in Bauernstuben und am Kinderbett erzählt, bei arm und reich, in den Schulen und den Disney-Studios. Den Figuren sieht man dieses lange Leben auch an: Leichenblasse Haut haben sie und blutunterlaufene Augen. Die Perücken sind filzig und zerzaust, wie die einer alten Barbiepuppe. Doch schon an den grellen Kostümen erkennt man, dass diese Wichte nicht totzukriegen sind. Munter krabbeln und wuseln sie nun über das Bühnenbild, das mitunter einer eingefrorenen Hüpfburg gleicht und zeigen uns Fratzen, wie wir sie sonst nur in unseren tollsten Fieberträumen sehen. Es scheint auch, als hätten die Märchen ihre archaische Perversität und die sich jeglicher Logik entziehende Handlung den Träumen entliehen. Demnach werden in der Kuhle, die ein monströser Kopf im Kissen hinterlassen hat (Dornröschen? Gott? Der Regisseur selbst?), auch Frauen verbrannt und Kutscher vernascht. Die heilige Jungfrau Maria weicht dem Kannibalenvater, ungehorsame Kinder werden wiederholt zu Holzscheiten gemacht. Hier wird das Kissen plötzlich zum Kanapee, auf dem das Unterbewusstsein von Generationen Platz genommen hat. Aber Fritsch ist nicht Freud und so findet sich kein Psychoanalytiker weit und breit, der Ordnung schafft.

«Grimmige Märchen» von Herbert Fritsch Spielsaison 16/17 am Schauspielhaus Zürich

Die Engagierten Zuschauer

I

Es gehört zu meinen Pflichten,
Schönes zu vernichten als Musikkritiker,
Sollt ich etwas Schönes finden,
Muß ich’s unterbinden als Musikkritiker.
Mich kann auch kein Künstler überlisten,
Da ich ja nicht verstehe, was er tut.“

(Georg Kreisler, Der Musikkritiker)

 

Kreislers Abrechnung mit den Musikkritikern ist selbst eine Kritik. Er drischt zwar auf dem Vorurteil herum, aber es ist ergötzlich. Auch wenn sich die Kritik seit den 60ern gewandelt hat (und vor allem die Kritiker und Kritikerinnen: Es gibt überhaupt mehr von zweiteren und erstere sind nicht mehr so alt und arrogant wie sie früher waren), so lebt das Vorurteil weiter. Es soll jetzt nicht darum gehen, dieses Vorurteil zu bedienen, aber ich möchte es doch als äussersten Punkt nehmen, von dem ich beginne. Es soll darum gehen, wie das Verhältnis zwischen Kritik und Publikum auch beschaffen sein könnte.

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